Sonntag, 28. Juni 2015

[ #tagebuch ] E(U)xit, nicht Grexit: Europas Rückkehr in die Totalität

Deutsche DM-Banknote aus 1948: Entführung der Europa

Europa macht in der Asylfrage ein erbärmliches Bild.

Oder: Europa macht die ohnedies kläglichen Verdienstmöglichkeiten Afrikas kaputt, liefert die Kleidersammlungen der Caritas u.a. nach Afrika und konkurrenziert dort die kleingewerbliche Textilindustrie zu Tode. Angeblich kommt der Erlös heimischen sozialen Projekten zugute. Dann ist es aber so, dass Afrika die Minderausgaben Europas für einen gesicherten Lebensunterhalt der Armen Europas finanziert. Die hingegen arbeitslos gewordenen Afrikaner lässt man als "Wirtschaftsflüchtlinge" im Mittelmeer ertrinken.

Oder: Die hoch subventionierte europäische Agrarindustrie liefert unter dem protektionistischen Schutz der EU ihre Abfälle tiefgefroren nach Afrika und macht dort die landwirtschaftlichen Kleinbetriebe kaputt. So werden alle Geflügelabfälle die hier nicht mal für Katz und Hund verwertet werden können, nach Afrika exportiert. Die engagiertesten Aktivisten im Europa-Parlament kämpfen gegen TTIP. Dieselbe Ausbeutung Afrikas durch Europa bleibt gelobt und geliebt.

Oder: Man zündelte in der Ukraine so lange bis der Bürgerkrieg ausbrach und man darf wieder Waffen an die Oligarchen liefern. So wie man es vorher schon auf dem Balkan getan hatte und einen Staat mit einer gemeinsamen Sprache und Geschichte (die Sprachunterschiede sind nicht größer als die Dialekte Vorarlbergs) zu einem beherrschbaren und ausbeutbaren Fleckerlteppich gemacht hatte.

Oder: Man veranstaltet in Asien Europa-Spiele, weil es dort Öl, Gas, Korruption und Diktatoren gibt. Die sicherste Geschäftsgrundlage für ein totalitär organisiertes Europa und eine märchenhafte Geldquelle für ausrangierte europäische Politiker.

Oder: Man destabilisiert Rußland, beginnt mit Manövern und Wettrüsten, beklagt scheinheilig ein totalitärer werdendes Russland und verdeckt die eigenen Anstrengungen Sozialstaat und Demokratie weiter abzubauen.

Oder: Die Bankenrettung und der Sozialstaatsabbau sind nichts anderes als eine offensive Förderung der angeblich nationalistischen, in Wahrheit totalitären Kräfte, Europas.

Oder: Man lässt die rassistische Verfolgung der Roma zu, vertreibt sie aus Mitteleuropa, baut in Ungarn einen eisernen Vorhang, diskutiert die Einführung der Todesstrafe, verweigert 200.000 lettischen Staatsbürgern das Wahlrecht, weil Russisch dort in Kontinuität mit Adolf dem Wahnsinnigen Untermenschentum definiert.

Oder, oder, oder ... Man kann diese Liste endlos fortsetzen und kann auch gerne behaupten, dass es die Konservativen sind, die Europa und die europäische Idee zugrunde richten. Jawohl, sehr überlegt oder auch nur pragmatisch gehen sie vor, aus dem erfolgreichen europäischen Kapitalismus wieder in eine totalitäre Feudalordnung zu kommen. Die Politik als Vogtei des Geldadels (der ja mehr und mehr dank Steuerprivilegien wieder ein Erbadel ist), das Politikamt als Leihe und widerrufbares Privileg. Der Lehensherr ist aber nicht etwa der Souverän, sondern eine staatlich finanzierte Oligarchie aus Staatsparteien. Der Rechtsstaat wird auf die Interessen der wirklich Besitzenden zurückgefahren, der Überwachungsstaat hochgefahren, die Demokratie downgecycelt zu einer Boulevardfreiheit, zur Freiheit des Stammtisches.

Aber die Verkürzung auf den Schüsselfreund Orban, auf Merkel und Rajoy, auf Camon oder Tusk, greift nicht. Die Grünen braucht es in Europa ohnedies nur mehr für das Glühlampenverbot und eine moralisierende Verbotspolitik, die an BDM-Mädels und Frauenschaftsführerinnen erinnert. Mittlerweile sind sie auch jene Partei - kaum zu glauben - die sich nicht nur für die Subventionierung der Landwirtschaft sondern auch der Energiekonzerne stark macht! Und alles was da als Ökosteuer an Abgaben und Belastungen von ihnen erfunden zu sein scheint, ist nicht neu sondern die Fortsetzung feudaler Abgabenpolitik, die darauf abzielt mit indirekten Steuern die Bürger auszubeuten und die Feudalherren zu schonen. Daher haben die Grünen auch die sich auf Wirtschaftsliberalismus reduzierenden Liberalen Europas längst abgelöst und gilt ihnen die Gunst und Aufmerksamkeit der Konservativen und besonders ihrer Wähler,

Totalversagen. Die Sozialdemokratie versagt aber am elendiglichsten. Ihre ursprüngliche Internationalität, ihre demokratische Geschichte gegen Totalitarität und Faschismus, ihr schon im Namen verankertes Programm, sozial und demokratisch, hätte sie eigentlich für eine Regierung Europas geradezu konkurrenzlos prädestiniert. Aber sie ist mittlerweile heruntergekommen, wenn selbst der sozialdemokratische EU-Parlamentspräsident, dem man eigentlich eine Intellektualität nicht abzusprechen vermag, schon formuliert: "Wenn wir das schaffen, wird Europa eine Weltmacht. Oder es scheitert." Das müsste man dem gelernten Buchhändler doch nicht ins Buch schreiben, dass Weltmachtsphantasien keine sozialdemokratischen Visionen sind und Europa dazu im Gegenteil nicht sein wird als Weltmacht sondern als soziale und demokratische Gemeinschaft. Europa scheint sich in diesem Jahrhundert schon wieder davon zu verabschieden und der Gründungsmythos vom Europa des Friedens wird auf den Kopf gestellt, denn Weltmacht ist und bleibt eine militärische Kategorie.

Der Apfel vom Baum der Demokratie. Griechenland ist ein Paradefall. Schon wurde eine griechische Regierung von der EU gestürzt, nur weil sie vor dem Abschluss der räuberischen Verträge mit der großdeutsch regierten EU Wahlen ausschreiben und die Verträge damit durch das Volk legitimieren wollte. Nun hängt die Zusammenarbeit mit Griechenland nicht nur an einer weiteren Erniedrigung des griechischen Souveräns. Eine Volksabstimmung, also demokratische Mitwirkung, das ist für diese Politik, für die europäische Politik ein ausgesprochener Sündenfall. Und die staatlich subventionierten Kettenhunde der Parteien kläffen "Grexit, Grexit, Grexit!", wiewohl sie genau wissen, dass selbst ein Staatsbankrott Griechenlands weder einen EU-Austritt noch eine Verabschiedung vom Euro bedeuten und Griechenland ohne Bruch der Verträge gar nicht hinausgeworfen werden kann. Der Bruch der Verträge wird aber eben vorbereitet. Gute Nacht Europa.

PS: Kaum zu glauben, dass in der griechischen Mythologie Europa ein Gott als Stier entführt hat. Denn heute ist es sichtlich nur ein Ochsengespann.

Tagebucheintrag: Heinz Starchl  28. Juni 2015
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